„Ich würde gerne 6 Kilo weniger wiegen, am besten gestern vor 10 Jahren, und dann wäre ich endlich glücklich. Denn dann bin ich schön und selbstbewusst, beweglich und elegant. Dann wird mein Leben endlich perfekt.„
-> Nein. Einfach nein. Das klappt so nicht.
Die zwei Wege zu leben
Meine glücklichste Freundin hat ehrlich gesagt nicht mal einen Spiegel. Sie sagt, sie würde sich später in der Universität manchmal wundern, was sie anhätte und ob die Klamotten-Kombi wirklich so gut sei. Aber es interessiert sie schlicht und ergreifend nicht, wie andere ihre Kleidung oder ihr Aussehen finden würden. Es hält sie nicht vom feiern, daten, studieren und die Menschen um sie herum genießen ab. Gehe ich mit ihr einkaufen, sucht sie sich Dinge aus, die sie schön findet und schaut nicht danach, ob sie sie schön an sich findet.
Das ist das komplette Gegenteil von meiner Person, die es schafft, selbst nach Jahren des Tragens auf einmal das eigene Aussehen in eigenen Klamotten peinlich zu finden. Die viel zu viel Zeit damit verbringt zu überlegen, ob das Outfit sie dick erscheinen lässt. (Sie ahnen es: Ich bin nicht dick, aber ich sehe mich so). Die, wenn sie irgendwo ankommt und ihre Reflektion in einer Scheibe sieht, davon meistens unglücklich wird. Weil sie nicht perfekt ist.
Eine unendliche Geschichte
Wie viele Momente habe ich darauf verschwendet, mich schlecht zu fühlen, weil ich nicht perfekt bin? Vermutlich mein halbes Leben. Die Quelle meines jeden Unglücks kommt daher, dass ich meinen eigenen Standards nicht gerecht bin, oder jemals gerecht werden könnte. Darüber hinaus entfache ich mit jedem Funken, der auch nur im Ansatz meine Unfähigkeit bestätigen, in meinem Gehirn ein Selbstzweifel-Inferno.
Das ist nicht so gesund.
Familientreffen zum Beispiel sind für mich zwar immer schön, aber ich fühle mich danach unfassbar schlecht, weil ich zu viel gegessen und getrunken habe.
Beziehungen sind schön, aber ich fühle mich schlecht, weil ich vom rumhängen und gemeinsamen Essen faul und dick werde.
Ich gehe gerne arbeiten, aber ich bin nicht schlank genug, um mich wirklich in der richtigen Kleidung dort wohlzufühlen. Also trage ich entweder unprofessionellere, weite Kleidung, die meine Figur verdeckt oder ich fühle mich so grauenvoll, dass meine Konzentration darunter leidet.
Falsche Wahrnehmung führt auch zu unlogischem Verhalten
Natürlich ist es nicht immer so extrem. An manchen Tagen merke ich das auch gar nicht.
Diese Tage helfen dann, ein bestimmtes Muster zu erkennen: Ich esse ungesund und unkontrolliert, wenn ich mich nicht wohl fühle. Das macht die Ausgangslage schlimmer und es führt zu einem Teufelskreis. Eventuell wird dieser verschlimmert, wenn Menschen mir erklären, wie ich besser sein könnte und was an meiner Ernährung falsch ist. Das ist pures Gift.
An den Tagen, an welchen ich keinen Optimierungswahn von innen oder außen empfinde, esse ich komplett normal. Ich denke nicht über Essen nach, ich fühle mich nicht schwach, ich stopfe nichts in mich rein und habe das Gefühl immer noch mehr zu mir nehmen zu müssen.
An diesen Tagen kann ich objektiv einschätzen, wo meine Problemzonen liegen und wie ich mich und mein Leben verbessern kann. An diesen Tagen bin ich verbesserungsfähig ohne dabei mich aufgeben zu wollen.
Andersherum weiß ich, dass auch wenn ich noch dünner werde, ich mich nicht schöner finden werde. Ich schaue in den Spiegel und denke: Ja, das hat jetzt auch nicht geholfen.
Daher kann ich zum Einleitungstext zurückleitend für jeden klarstellen: Nein, unser Glück steigt nicht, je „perfekter“ wir werden. Unser Glück steigt, je mehr wir unser Leben genießen und uns darin zurechtfinden. Es ist nicht nur sinnlos, schon vorgestern 10Kilo leichter gewesen zu sein, wenn man sich selbst und das Leben nicht in vollen Zügen lebt, es ist auch deutlich schwieriger, dorthin zu kommen.
Atmen, leben, langsamer fahren, wahrnehmen, zuhören, genießen, weniger denken, weniger wiegen
In der Praxis bedeutet das: Möchte ich Kuchen und Sekt mit den Verwandten schlürfen, tue ich das. Und genieße den Moment, den ich mit der Familie habe. Ich weiß, dass meine regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und gesunde Ernährung das locker ausgleichen.
Wichtig ist, dass ich wirklich im Moment da bin. Dass ich wach bin und zuhöre. Dass ich nicht an all die Felder meines Lebens denke, die bewässert werden müssen, um intakt zu bleiben.
Alle Menschen sollten sich Zeit nehmen und ihre Umgebung genießen. Ihr Essen genießen. Der Rest kommt von alleine. Natürlich durch bewusste Entscheidungen, aber für bewusste Entscheidung bedarf es eines nicht ferngesteuerten aktiven Bewusstseins, dass sich um uns selbst sorgt. Jeden Tag sorgt.
Vor jeder Diät, Lebens-oder Ernährungsumstellung sollte sich gefragt werden: Warum tue ich das? „Werde“ ich dann glücklicher und zufriedener? Oder ist es einfach die bessere Lebensweise für mich? Die letzten zwei Fragen sind nicht ein und das gleiche. Es ist wichtig, ob wir glauben, in der Gegenwart nicht glücklich sein zu können. Es ist wichtig zu sehen, dass wir die Gegenwart nicht genießen und dass ein anderes Leben mit nichts außer dem gleichen Problem kommen wird, wenn wir nicht vorher lernen, unsere Einstellung grundlegend zu ändern.
Wir bewegen uns vielleicht, aber ohne Weiterentwicklung hilft es nicht
Jedem sei damit geraten, sich aus der Vogelperspektive zu betrachten und zu überlegen, wie man mit sich steht. Denken wir, wir sind nicht perfekt? Ist das der Grund, dass wir uns ändern wollen? Oder ist es einfach eine Frage nach weniger Gelenkschmerzen aufgrund von Übergewicht. Ist es eine Frage von Mobilität oder sogar Aussehen. Es ist ok, durch gesunde Ernährung schöner werden zu wollen, wenn das vom Optimierungswahn losgekoppelt ist. Sonst „werden wir schöner“, reicher, besser – und dann verschwindet das Glück nach kurzer Zeit wie bei einem Kaufrausch.
Der Fortschritt passiert, ohne dass wir uns wirklich irgendwohin bewegen.
Für langfristige und effektive Verbesserung des eigenen Lebens bedarf es somit einer objektiven Einschätzung der eigenen Person. Es muss klar sein, dass ein noch so optimaler Körper allenfalls das Glück eines neu gekauften Ferrari oder der teuren Handtasche bringt, wenn wir dahinter „leer leben“.
Es bedarf bereits vor dem Moment der Verbesserung die Fähigkeit zu genießen, zuzuhören und abzuschalten.
Wie das geht? Damit beschäftigen wir uns nächste Woche.